Verpflichtendes soziales Jahr: Pro und Contra

Eine Argumentationshilfe der BKU Diözesangruppe Düsseldorf

Der Philosoph Richard David Precht hat soeben gefordert, dass alle jungen Leute vor Eintritt in das Berufsleben und alle älteren nach Beendigung desselben den Staat durch ein jeweils einjähriges Pflichtjahr stärken sollen.

Das erinnert an John F. Kennedy: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst!“ Und weiter: „Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier? Wer, wenn nicht wir?“

Engagement ist gefordert

Der Düsseldorfer BKU-Vorstand war 2020 der Meinung, dass die Katholische Soziallehre mit ihrer Verbindung von Solidarität und Subsidiarität auf der Basis des Respektes vor der Würde des Menschen genau dies fordert: Engagement!

2020/2021 hat der BKU Düsseldorf daher eine Vortragsreihe „Verpflichtendes soziales Jahr: Pro und Contra“ organisiert, mit fünf hochkarätigen Referenten:

Dr. Jens Kreuter, Geschäftsführer Engagement Global gGmbH, früher Bundesbeauftragter für den Zivildienst
Wolf - J. Clauß, Generalmajor a.D., zuletzt Amtschef des Heeresamtes.
Prinz Albrecht von Croÿ, Vizepräsident Malteser Deutschland
Henric Peeters, Vorstandsvorsitzender Caritasverbandes Düsseldorf e.V.
Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann MdB, FDP-Bundesvorstandsmitglied, Vorsitzende der FDP Düsseldorf, Verteidigungs- und Kommunalpolitik.

Alle fünf Keynotes und anschließenden Diskussionen haben wir zusammengefasst und von den Referenten absegnen lassen. Der Text soll Basis für eine weitergehende Diskussion sein, die sicher auch im kommenden Bundestagswahlkampf geführt werden wird.
Er ist auch Basis für eine letzte Veranstaltung zum Thema am 25. Mai 2021, in der Dr. Kreuter („pro“) und Prinz von Croy („contra“) noch einmal alle Standpunkte präzise erläutern und zur Diskussion zur Verfügung stehen.

Begründung und Ziele für die Vortragsreihe

Der Bund Katholischer Unternehmer arbeitet an der Schnittstelle zwischen Politik/Kirche/ Wirtschaft, um auf der Basis christlicher Werte innovative Konzepte zur Wirtschafts- und Sozialpolitik mit zu entwickeln.

Innerhalb dieser Zielsetzungen beschäftigen wir uns im Besonderen gegenwärtig mit der Frage, wie es gelingen kann, die individuelle Identifikation mit unserem Staat, unserer Gesellschaft stärker in das Bewusstsein und die Diskussion zu bringen.

Zwei Faktoren sind für ein konstruktives Zusammenleben innerhalb eines Landes wichtig:
Die Kenntnis von Menschen aller sozialer Schichten untereinander als Gegengift zu Verschwörungstheorien und Fake News und die Bereitschaft, individuelles gesellschaftliches Engagement zum Wohle der Allgemeinheit einzugehen.

Auch die Aussetzung von Wehrpflicht und Ersatzdienst hatte zur Folge, dass eine staatsbürgerliche Pflicht für junge Leute mit Begegnungsmöglichkeit über die eigene soziale Schicht hinaus nicht mehr relevant war. Auch die Digitalisierung befördert die Kommunikation in der eigenen „Blase“.

Dennoch ist individuelles gesellschaftliches Engagement zum Wohle der Allgemeinheit nach wie vor relevant bzw. steigend: auch die Mehrheit der jungen Leute ist für ein verpflichtendes soziales Jahr. Allerdings handelt es sich bei diesen jungen Leuten wohl nicht um diejenigen, die eine internationale Karriere anstreben oder die in unserer Gesellschaft nicht angekommen sind oder ihr feindlich gegenüberstehen. Beide Gruppen wird man mit einem freiwilligen Angebot wahrscheinlich nicht erreichen, für beide Gruppen wäre ein soziales Jahr aber sicher ein Schritt auf dem Weg zu einem gelingenden Leben.

Wir haben dieses aus unserer Sicht immer wichtiger werdende Thema zum Anlass genommen, um fünf kompetenten Gesprächspartnern zuzuhören, mit allen Interessierten dazu ins Gespräch zu kommen und gemeinsam zu überlegen, wie wir hier die politische und gesellschaftliche Diskussion mit weiterentwickeln können.

Aus Umfragen wird deutlich, dass das Angebot eines sozialen Dienstes vor allem für junge Leute in breiten Schichten der Bevölkerung und in der Politik positiv gesehen wird. Auch die verpflichtende Komponente wird mit 75% in der Bevölkerung im Gegensatz zu manchen offiziellen oder politischen Gruppen positiv gesehen.

Eine kontroverse Diskussion besteht daher vor allem zu der Frage, wie dieser soziale Dienst konkret aussehen soll: verpflichtend oder freiwillig, ein paar Wochen, Monate oder ein Jahr, nur für junge Leute vor der Ausbildung oder für alle Altersgruppen.

Gegenwärtige Situation:

Wer nach der Schule einen Freiwilligendienst machen möchte, steht vor der Auswahl zahlreicher Angebote. Um die geeignete Einsatzstelle für sich zu finden, bleibt Interessierten nichts anderes übrig, als sich durch einen „Programm-Dschungel“ durchzuarbeiten. Dabei helfen Plattformen wie "wegweiser-freiwilligenarbeit.com".

Der Klassiker unter den öffentlich geförderten Jugendfreiwilligendiensten ist das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) (Kinder-, Alten-, Pflegearbeit, Sportvereine). Dazu kommt das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ), aber auch das FSJ Kultur, FJS Schule, FSJ Politik und das Freiwillige Wissenschaftliche Jahr an Forschungseinrichtungen und Unis. Die Programme laufen 6-24 Monate für Schulabgänger zwischen 16 und 24.

Aber auch im Bundesfreiwilligendienst (BFD) engagieren sich ohne Altersbeschränkung (!) Frauen und Männer (als Bufdis oder Bundesfreiwillige bezeichnet) für das Allgemeinwohl, insbesondere im sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich sowie im Bereich des Sports, der Integration und des Zivil- und Katastrophenschutzes (§ 1 BFDG). Er ist 2011 als Initiative zur freiwilligen, gemeinnützigen und unentgeltlichen Arbeit in Deutschland eingeführt worden.

Der Bundesfreiwilligendienst wurde von der Bundesregierung als Reaktion auf die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 und damit auch des Zivildienstes geschaffen. Er soll die bestehenden Freiwilligendienste Freiwilliges Soziales Jahr und Freiwilliges Ökologisches Jahr ergänzen und das bürgerschaftliche Engagement fördern. Ziel ist es unter anderem, das Konzept des Freiwilligendienstes auf eine breitere gesellschaftliche Basis zu stellen, da der Bundesfreiwilligendienst auch für Erwachsene über 27 Jahre offen ist.
Für den BFD wurde der Grundsatz der Arbeitsmarktneutralität vom Zivildienst übernommen (vgl. § 3 Abs. 1 BFDG), der durch das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) überprüft wird.

Die zentrale Verwaltung wird durch das BAFzA (Nachfolgebehörde des Bundesamtes für den Zivildienst) wahrgenommen. Der Bundesfreiwilligendienst könnte viel erfolgreicher sein, wenn er attraktiver gemacht würde: die Vergütung liegt, von den Trägerorganisationen abhängig, zwischen 150 und 450 €, neben dem Kindergeld und die Kranken-, Renten-, Unfall-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung wird übernommen.

Gesellschaftspolitische Gründe zur Einführung eines sozialen Dienstes bzw. des AGD (Allgemeiner Gesellschaftsdienst)

1. Die langfristige Stabilität einer Gesellschaft basiert auf einem gemeinsamen Sockel an Überzeugungen und Werten. Abgrenzung und „hate speech“ entsteht in der Anonymität und aus Unkenntnis und Fehleinschätzung anderer. Ein gemeinsames Arbeiten von Menschen unterschiedlicher Altersstufen und unterschiedlicher sozialer Herkunft wird die weitere Segregation der Gesellschaft stoppen bzw. zumindest teilweise rückgängig machen. Der Dienst erfolgt aus der Mitte der Gesellschaft in die Mitte der Gesellschaft.

2. Ein sozialer Dienst ermöglicht die Erkenntnis, dass die Gesellschaft von der sozialen Kompetenz eines jeden Einzelnen lebt und jeder Teil eines „Kollektivs“ ist.

3. Sowohl das Kennenlernen und Nähe zu den Menschen in der Gesellschaft, die vielfältige Handicaps tragen müssen, als auch zu Kollegen/innen aus allen Bereichen der Gesellschaft baut Vorurteile und eine Atmosphäre „sozialer Kälte“ ab und ermöglicht die Entwicklung von „emotionaler Intelligenz“.

4. Der soziale Dienst kann Motivation sein für ein späteres freiwilliges/berufliches gesellschaftliches Engagement.

5. Derzeit fehlen uns im Gesundheits- und Pflegewesen über 100.000 Pflegekräfte.

6. Die Corona-Pandemie, die nicht die einzige bleiben wird, hat gezeigt, dass ausgebildete soziale Helfer als Reserve für Extremsituationen wie diese äußerst hilfreich und wichtig sind.


Individuelle Gründe zur Einführung eines sozialen Dienstes

1. Nach der Schule nimmt ein solcher Dienst erstmal den Druck von den jungen Menschen, sich entscheiden zu müssen und auf der Basis dieser Entscheidung leisten zu müssen. Für junge Leute gilt besonders der Satz: „Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht!“ Verantwortung, Leistungsdruck und Belastungen werden reduziert, Mut zu Neuem wird gemacht und ein Verständnis für die Notwendigkeit gesellschaftsrelevanter Arbeit geschaffen.

2. Junge Leute haben die Chance, in einer ersten Tätigkeit nach der Schule und vor der Ausbildung die Realität der Arbeitswelt kennen zu lernen, verbunden mit der Erfahrung, dass jeder für seine Tätigkeit Verantwortung übernehmen muss. Diese Erfahrung wird helfen, das Tun anderer wert zu schätzen und das eigene Verhalten kennenzulernen und zu entwickeln.

3. Junge Leute haben nach der Schule oft keine Vorstellung, welche Ausbildung/welches Studium für sie richtig sein würde. Die Zahl der jungen Leute ohne Ausbildungsabschluss und die der Studienabbrecher steigt stetig. Ein soziales Jahr bietet die Chance, unterschiedlichste Arbeitsfelder in unserer Gesellschaft und konkrete Arbeitsumgebungen kennenzulernen. Es ist wie eine „Ausbildung light“ und so eine Hilfestellung zur Entscheidung für eine passende Ausbildung, ein passendes Studium. So rechnet sich das soziale Jahr auch zeitlich.

4. Alle Teilnehmer an einem sozialen Dienst haben die Möglichkeit, die breite, gut organisierte soziale Struktur unserer Gesellschaft und vieler ihrer engagierten Mitarbeiter kennenzulernen. Dies ermöglicht eine Identifikation mit der deutschen Gesellschaft und ihrer staatlichen Organisation. Man bewertet die Arbeit der Menschen, die man dort kennenlernt, als gesellschaftlichen Beitrag anders.

5. Ein sozialer Dienst ermöglicht die Erkenntnis, dass „Führen“ etwas ist, das man wollen muss und lernen kann, für einen Unternehmerverband wie den BKU auch ein wichtiges Element als gute Vorbereitung für soziales Unternehmertum.

6. Auch die Erfahrung mit der Übernahme von Verantwortung ist für die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Leute mit Auswirkung ins Privat- und Berufsleben unterstützend.

Freiwillig versus verpflichtend

1. Die Freiwilligendienste werden gelegentlich polemisch als Eliteprojekte für idealistisch Engagierte bezeichnet. Sie bringen nicht die zusammen, die einander fremd sind und bleiben, wenn es keine Einrichtungen gibt, in denen sie einander begegnen.
Auf der anderen Seite ist der Wert von Freiwilligkeit staatsbürgerlich ein eigenes Ziel. Ggf. ist zumindest zu Beginn die Motivation und damit Einsatzfähigkeit viel niedriger. Der Zwang kann bei manchen Teilnehmern zu mangelnder Identifikation und fehlender Empathie führen.

2. Handelt es sich bei einem verpflichtenden Sozialdienst um einen Freiheitseingriff entsprechend Art. 12 GG? Nach Völker- und Europarecht sollte es keine Probleme geben, jedoch ist wahrscheinlich eine Grundgesetzänderung erforderlich, da Klagen gegen einen verpflichtenden Dienst zu erwarten sind. Dazu müsste erst geklärt werden, ob der Bund oder die nicht vielmehr die Länder zuständig sind.
Die Umsetzung eines allgemeinen Gesellschaftsdiensts (AGD) unterliegt verschiedenen Voraussetzungen. Eine der wichtigsten und zugleich umstrittensten ist die rechtliche Ausgestaltung. Die Wehrpflicht ist eine der wenigen rechtlich zulässigen Ausnahmen im Sinne des Artikels 12a Grundgesetz über das Verbot des Arbeitszwanges. Allerdings ist sie unzureichend für die Umsetzung eines AGD, weil ihre Hauptaufgabe die Landesverteidigung ist. Auch steht die Frage im Raum, ob ein AGD mit europäischem Recht und dem Völkerrecht vereinbar ist, etwa mit der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) oder Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Für die zu erwartende rechtliche Prüfung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), ob ein solcher Zwangsdienst zulässig ist, sind folgende Aspekte von besonderer Bedeutung:
• Personenkreis/Zielgruppe,
• Dauer der Verpflichtung,
• Art der Belastung,
• konkrete Arbeits- und Rahmenbedingungen,
• zeitliche und inhaltliche Wahlmöglichkeiten,
• berufliche Anerkennung,
• finanzielle Regelungen,
• Einbindung Nichtdeutscher mit unbefristetem Aufenthaltstitel.
Personenkreis: Schon die Bezeichnung allgemeiner Gesellschaftsdienst drückt aus, dass dieser Männer und Frauen gleichermaßen erfasst. Um dem Diskriminierungsgebot der EMRK Rechnung zu tragen, sollte über die Einbindung Nichtdeutscher mit unbefristetem Aufenthaltstitel nachgedacht werden. Sie könnte einen zusätzlichen, integrativen Mehrwehrt bieten.

3. Bei Einführung eines Pflichtjahres fehlt mit einem Mal ein kompletter Ausbildungsjahrgang bzw. 523 000 Auszubildendenabsolventen. Dieses Defizit muss ggf. durch eine gestaffelte Einführung gemildert werden. Dem Arbeitsmarkt fehlten sonst zwischen den Jahren 2020 und 2040 rund 400. 000 (potenzielle) Erwerbstätige. Jedoch sind Ziele und Leistungserbringung andere als bei Arbeitsplätzen. Menschen zwischen 18 und 22 werden angesprochen, je nach Lebenssituation /Ausbildungssituation, also streut sich das.

4. Gerechtigkeit: Es ist verpflichtend für alle jungen Leute, auch für junge Leute mit doppelter Staatsangehörigkeit. Ausnahmen müssen definiert werden.

5. Es geht nicht darum, ob die – ausgesetzte – Wehrpflicht reaktiviert werden soll. Die Bundeswehr ist nur ein Anbieter für ein soziales Jahr unter vielen. Die Bundeswehr verfügt nur über die räumlichen und personellen Kapazitäten im freiwilligen Wehrdienst von jährlich maximal 12 500 Plätzen. Sie müsste mit erheblichem finanziellem und organisatorischem Aufwand die Infrastruktur für eine verpflichtendes Gesellschaftsjahr erst wieder schaffen.

6. Beim THW sind bereits 80 000 Freiwillige engagiert, davon 150 als Bundesfreiwilligendienstleistende. Für das THW ist nach eigener Darstellung Kontinuität in der – oft jahrelangen – Zusammenarbeit mit den freiwilligen Helfern besonders wichtig. Ein allgemeines Pflichtjahr muss so ausgestaltet sein, dass diese langjährige Kooperation nicht gefährdet wird.

7. Ein allgemeiner sozialer Dienst von etwa einem Jahr im Altersbereich zwischen 25 und 30 Jahren macht - auf die Lebenszeit gerechnet - um bis zu sieben Prozent niedrigere Einkommen wahrscheinlich.
Gleichzeitig haben im Jahr 2020 32 Prozent der Hochschulstudierenden ihr Studium abgebrochen oder verändert, bei den Auszubildenden waren es 25 Prozent. Daraus resultieren bei den Betroffenen oft Enttäuschung, Frust oder Sorgen, verbunden mit gesellschaftlichen und persönlichen Kosten. Durch einen vorherigen orientierenden „Zivildienst“ wären diese Folgen deutlich zu reduzieren.
Auch die kürzere Studienzeit aufgrund gewachsener persönlicher Reife wird Kosten reduzieren.

8. Ein gesellschaftlicher ökonomischer Schaden entsteht, weil eine ganze Generation für ein Jahr dem Arbeitsmarkt entzogen wird. Zusätzlich fehlen Steuern und Sozialversicherungen, stattdessen werden Aufwandsentschädigung (Bufdis nur 402€, aber bei Verpflichtung Gehalt wie bei den freiwillig Wehrdienst Leistenden: 1.500€) für bis zu 800.000 jungen Leuten erforderlich.

9. Im Jahr 2020 hatte Deutschland über 800.000 Schulabsolventinnen und -absolventen. Bezugnehmend auf diese Zahlen bedeutet das, dass ein AGD in zehn Jahren rund acht Millionen junge Menschen erreichen könnte.

Alternative Lösungen

1. Frankreich plant derzeit mit dem Service National Universel (SNU) einen verpflichtenden Dienst für 15- bis 17-Jährige. Derzeit basiert die Umsetzung noch auf Freiwilligkeit, doch der Dienst soll bis 2024 für alle obligatorisch werden. Er untergliedert sich in zwei Phasen mit einer Gesamtdauer von einem Monat, eine dritte kann freiwillig absolviert werden. In der ersten findet ein zweiwöchiger Gemeinschaftsaufenthalt für Gruppen von rund 200 Jugendlichen außerhalb des eigenen Wohnortes statt. Dabei sollen der Gemeinsinn der Jugendlichen aus verschiedenen Schichten und Milieus sowie das Verständnis über die eigene Nation gefördert werden. Die zweite Phase muss entweder 84 Stunden über das Jahr verteilt werden oder 12 zusammenhängende Tage umfassen. Sie soll ein Dienst für die Nation sein, der die Autonomie junger Menschen stärkt. Der letzte Abschnitt ist das freiwillige Engagement für die Allgemeinheit mit einer Dauer von mindestens drei Monaten bis zu einem Jahr. Langfristig soll der Dienst eine Voraussetzung für die Abitur- und die Führerscheinprüfung bilden. Weil der verpflichtende Teil des SNU sehr kurz ist und sich in der Ausgestaltung an Schüler während der Schulpflicht richtet, lässt er sich mit der in Deutschland diskutierten Dienstpflicht von einem Jahr nicht vergleichen.

2. Weiter soll für Personen ab 25 Jahren ein Rechtsanspruch auf eine berufliche „Auszeit“ zu Gunsten sozialen Engagements eingeführt werden.

3. Die einjährige Dienstpflicht könnte aufteilbar angeboten werden, etwa dergestalt, dass sie über sechs Jahre verteilt werden kann.

4. in Dänemark werden Dienstpflichtige per Losverfahren bestimmt „Draft Lottery“ (erfüllt nicht die Ziele, alle Schichten miteinander ins Gespräch kommen zu lassen, die Identifikation mit der deutschen Binnenorganisation zu befördern und persönliche Reife zu befördern)

Organisation

1. In den klassischen Einsatzfeldern des Gemeinwohls verfügen die Freiwilligendienste in Deutschland zurzeit über rund 100 000 Stellen. Daher müssen neue Möglichkeiten geschaffen werden, um dem zu erwartenden Bedarf von etwa 600- bis 700 000 Stellen gerecht zu werden. Den Einsatzmöglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt, so dass inhaltliche Vielfalt gewährleistet werden kann. Die Bundeswehr sollte ein Bestandteil des AGD sein. Sie plant derzeit mit 12 500 freiwillig Wehrdienst Leistenden (FWDL) und verfügt über etwa 8.500 Dienstposten für diese.
Definition der teilnehmenden Organisationen: staatliche, soziale, ökologische, kirchliche und zivilgesellschaftliche Einrichtungen und die Bundeswehr. Auch Wirtschaft und Handwerk, sofern sie die Kriterien erfüllen, können Plätze anbieten, z. B. zur Berufsorientierung bzw. für anrechnungsfähige Berufspraktika.

2. Das breite Spektrum der Angebote soll möglichst viele Jugendliche ansprechen.
In der Ausgestaltung des AGD sollten beispielsweise gesundheitliche Grundvoraussetzungen oder Ausnahmetatbestände erörtert werden, wie die Regelungen für Geschwister oder Alleinerziehende in Anlehnung an die Wehrpflicht. Das ist nötig, um konkrete Arbeits- und Rahmenbedingungen zu definieren und einen gesetzlichen Rahmen für die Schaffung der Einsatzstellen vorzugeben.

3. Definition der Arbeitsplätze in Clustern nach Anforderungsprofilen.

4. Basisausbildung in staatlicher Organisation: zwei Wochen „Gesellschaftliche Strukturen in Deutschland“.

5. Potentialanalyse der Teilnehmer: Stärken/Schwächenanalyse; Wunschunternehmen/Wunschregion

6. Kosten:
Die Vergütung (Fahrtkostenpauschale und an Bafög angelehnte Vergütung) trägt der Bund zu 2/3, die angeschlossenen Verbände/Organisationen/Unternehmen zu 1/3. Ausbildungs- und Binnenorganisationskosten tragen die angeschlossenen Verbände/Organisationen/Unternehmen.

Die Kosten des Bundes amortisieren sich durch Studienbeginn „reiferer“ Persönlichkeiten, d.h. weniger Ausbildungs- und Studienabbrecher und ein schnelleres, zielgerichteteres Studium.

Finanzielle Ausgestaltung: Für die Betroffenen spielen vor allem Vergütung und Zusatzleistungen wie Verpflegung oder Unterkunft eine entscheidende Rolle, während der Staat die zu erwartenden Kosten taxieren muss. Laut dem Ökonomen Philipp Noack belaufen sich die durchschnittlichen Kosten für einen Zivildienstleistenden auf Grundlage der Daten von 2001 bis 2010 auf 15 582 Euro pro Jahr. Schreibt man diese Daten mit Hilfe des Verbraucherpreisindexes und in Relation zu den Geburtenzahlen fort, ergeben sich Gesamtkosten von etwa 13 bis 14 Milliarden Euro pro Jahr für den AGD bis 2030. Davon entfallen rund 60 Pro¬zent (7,8–8,4 Milliarden Euro) auf den Staat und 40 Prozent (5,2–5,6 Milliarden Euro) auf die Einsatzstellen.
Die fiktiven Kosten für die Erbringung von Leistungen durch Fachkräfte statt durch Zivildienstleistende wurden auf 1,85 Milliarden Euro pro Jahr berechnet. Wendet man diese Methode auf den AGD an, ergeben sich, hochgerechnet auf die Anzahl der Stellen darin, Kosten von ungefähr 15 Milliarden Euro, was die geschätzten Gesamtkosten des AGD sogar überstiege. Fachkräfte etwa in der Pflegebranche sind aber schon jetzt kaum mehr auf dem freien Arbeitsmarkt verfügbar. Außerdem sind bestimmte Leistungen des AGD in der Pflege oder Krankenhäusern mit finanziellen Kategorien nur schwer zu erfassen. Sein Nutzen liegt eher in der psychosozialen Unterstützung, also in menschlicher Zuwendung etwa in Form von Gesprächen, zu denen Fachkräfte aufgrund des vorherrschenden Kostendrucks immer weniger Zeit haben.

7. Einstellung von hauptamtlichen Begleitpersonen, die Ansprechpartner für die jungen Leute und die Arbeitgeber sind.

8. Dauer: Um Aufwand und Ertrag für den Staat (Finanzen), für die beteiligten Einrichtungen (Organisation, Einarbeitung) und für die jungen Leute (Lernerfolg) in ein gutes Verhältnis zu bringen, ist eine Dauer von paar Wochen kontraproduktiv, ein Jahr verspricht Erfolg für alle. Eine Dauer von 12 Monaten orientiert sich am Bundesfreiwilligendienst (BFD) sowie dem Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahr (Jugendfreiwilligendienste, JFD).

9. Abschlusszeremonie mit einer Urkunde „Engagement für Deutschland“.

Ökonomische Ausgestaltung (Vor- und Nachteile)

1. Die Vergütung eines AGD sollte nicht oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegen, um eine finanzielle Konkurrenz zwischen pflichtdienstbezogenen und normalberuflichen Tätigkeiten auszuschließen.

2. Sie sollte den gegenwärtig unterschiedlichen Vergütungen für das Freiwillige Soziale Jahr zum einen und den Bundesfreiwilligendienst zum anderen gleichgestellt werden.

3. Die ungleiche Rentenpunktanrechnung für die Pflege Angehöriger und die Ableistung von Bundesfreiwilligendienst sollte angeglichen werden. Die Vergabe von Rentenpunkten könne ein wirksamer Anreiz zu mehr sozialem Engagement sein, da die Rententhematik auch bei jungen Leuten an Bedeutung gewinnt.
Es gibt heute schon eine großzügige Regelung: Der Freiwilligendienst wird nicht auf der Basis des eigentlichen Einkommens (Taschengeld), sondern auf der Basis des Durchschnittseinkommens auf die Rentenpunkte angerechnet, was einer Vervielfachung gleichkommt.

4. Um speziell für Studierende einen Anreiz zu mehr sozialem Engagement zu schaffen, sollte ein AGD über die Vergabe von ECTS-Punkten im Rahmen des jeweiligen Studiengangs honoriert werden. Dadurch könnten Studien(warte)zeiten oder Numerus-clausus-Werte beeinflusst werden.

5. Das Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) sollte als Pflichtjahrersatz voll anrechnungsfähig gestellt werden.

6. Einen Bonus zum späteren Bafög betrifft nur einen sehr kleinen Teil der Zielgruppe. Damit würde so eine Maßnahme auch nur auf eine ganz bestimmte Gruppe eine Anreizwirkung entfalten können (nämlich auf Menschen, die a) studienwillig sind und b) aus schwächeren sozialen Verhältnissen stammen. Dies könnte eine politische Diskussionen auslösen, ob der Freiwilligendienst zum Pflichtdienst für Arme werden soll.

7. Eine bundesweit gültige Bahnkarte zum Mini-Preis wäre ist ein geldwerter Vorteil. Für sehr wenige Freiwillige ist eine BahnCard interessant, für sehr viele, etwa in ländlichen Gegenden, völlig uninteressant. Effizienter wäre es, den Freiwilligen einfach das Geld in die Hand zu drücken.

8. Eine Verkürzung der Berufs-Ausbildungszeit um ein halbes Jahr aufgrund der erlangten sozialen Kompetenzen und der Berufsfeld-Erfahrungen gibt es auch heute schon. So kann man z.B. im Freiwilligendienst die komplette Ausbildung zum Rettungsassistenten machen und sich anschließend damit über Wochenenddienste sein Studium finanzieren.

Fazit

Die Corona-Pandemie hat in vielen Bereichen offenbart, wie wichtig der soziale Zusammenhalt innerhalb einer Gesellschaft ist. Weil Strukturen und Personal fehlten, entwickelten sich zahlreiche Initiativen, die Lösungen für die Probleme im Alltag unter Quarantänebedingungen anboten. Hilfsorganisationen unterstützten bei Einkäufen, Nachbarschaftsinitiativen wurden gegründet und Internetplattformen aufgebaut, um Hilfsbedürftige und Hilfsangebote zusammenzubringen.

Solch ein (freiwilliges) soziales Engagement ist hilfreich, aber für den Staat, der seine Handlungsfähigkeit in Krisenzeiten sicherstellen muss, nur schwer zu institutionalisieren.

Mit den Lockerungen der Quarantänemaßnahmen in Deutschland böte sich also gleichzeitig die Gelegenheit, sich mit der Umsetzung des AGD zu befassen. Der politische Schwerpunkt sollte darauf liegen, der Bevölkerung, vor allem den jungen Menschen, eine konkrete Option zu eröffnen. Umfragen zeigen, dass gerade diese sich politischen Themen nicht verschließen. Dabei bietet das französische Modell Ansätze für die Einführung des AGD, etwa durch die freiwillige Übergangszeit bis zur verpflichtenden Umsetzung. Dies würde einen öffentlichen Diskurs, Anpassungen in der Ausgestaltung und den Aufbau der erforderlichen Einsatzstellen ermöglichen.

Unsere Referenten hatten unterschiedliche Schwerpunkte und Sichtweisen, wir haben versucht, sie vollständig wieder zu geben als Argumentationshilfe für den einen oder den anderen Weg.

Autorin:
Maria Fischer, Vorstandsvorsitzende der BKU Diözesangruppe Düsseldorf

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Aktuelles

// BKU-Mitglieder erhalten Einblick in Kirchenfinanzen

Im Zuge einer Veranstaltung der Diözesangruppe Köln hatten BKU-Mitglieder die Gelegenheit, sich mit dem Ökonomen und Finanzdirektor des Erzbistums Köln, Gordon Sobbeck, im „Kolumba“, dem Kunstmuseum des Erzbistums über die wirtschaftliche Lage des mitgliederstärksten deutschen Bistums auszutauschen.

// BKU-Vertreter im Austausch mit Hermann Gröhe

Der Bund Katholischer Unternehmer pflegt seit langem enge Beziehungen zur Politik, um die Ideen der Sozialen Marktwirtschaft aktiv zu fördern. In diesem Zusammenhang finden zahlreiche Treffen mit politischen Vertretern statt, darunter kürzlich mit dem Bundesgesundheitsminister a.D. Hermann Gröhe (CDU).

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