„Die Europäische Union – ein grandioses Experiment?“
BKU-Vortragsabend mit Prof. Dr. Werner J. Patzelt
am 27.10.2025 im Exerzitienhaus St. Vinzenz, Berlin
Der Abend hatte wunderbare Startbedingungen: Die Kapelle von Haus Vinzenz war bis auf den letzten Platz gefüllt. Draußen regnete es und drinnen bebte der Lobgesang der sangesfreudigen Gläubigen bei der Heiligen Messe.
Gestärkt durch die Andacht, die Impulse der Predigt von Pfarrer Dr. Josef Wieneke und die Eucharistie betraten wir in den Vortragssaal. 25 Personen waren angemeldet – 40 kamen. Wo es eng ist, wird’s gemütlich. Alle waren schon beim Stühlerücken munter im Gespräch.
Nach der Begrüßung und der Erstversorgung der Durstigen „krabbelten“ wir so allmählich die Bedürfnispyramide hoch. Es gab ein indisches Curry-Menü und – oh Wunder – alle wurden gut satt.
Prof. Dr. Patzelt begann seine Ausführungen und alle – satt und zufrieden – lauschten gebannt. Mikro und Lautsprecher wurden – erstaunlicherweise – nicht benötigt.
Zur Einführung stellte Patzelt den experimentellen Charakter der Europäischen Union und die beachtlichen Erfolge der Europäischen Einigung heraus.
Bereits kurz nach dem 2. Weltkrieg formulierte Winston Churchill die Idee der „Vereinigten Staaten von Europa“.
Der Ausgangspunkt war die Montanunion. Eine angestrebte Verteidigungsgemeinschaft scheiterte 1954 an der Ablehnung Frankreichs. Dann wurde die Einigung Europas durch ökonomische Abstimmungen vorangetrieben; es entstand die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG). Die Europäische Gemeinschaft wurde größer. Später wurden deren Zuständigkeiten immer mehr erweitert, von der dann auch offiziell so genannten „Europäischen Gemeinschaft“ (EG) bis zur „Europäischen Union“ (EU).
Spannungsfelder blieben dabei stets dieselben Grundsatzfragen:
- Ist die EU eine Organisation / Institution oder ein Staatsgebilde?
- Was wird national, was supranational entschieden?
- Wie steht es mit der repräsentativen und demokratischen Legitimation der EU?
Patzelt zog einen interessanten historischen Entwicklungsvergleich zwischen der EU und dem Stadtstaatenbund in antiken Griechenland nach dem Peloponnesischen Krieg (431-404 v. Chr.).
Auch im „alten“ Griechenland sollte eine übergeordnete Zusammenarbeit den Wohlstand sichern. Das zunächst erfolgreiche Vorhaben stieß an seine Grenzen bei den bereits genannten Grundsatzfragen.
Eine demokratische Legitimation, die noch auf der Staatenebene möglich und nachvollziehbar ist, ist auf der EU-Ebene nicht mehr ohne Weiteres gegeben. Das System ist zu komplex und die kommunikative Beziehung zwischen Bevölkerung und deren Repräsentanten im Straßburger EU-Parlament und in der Brüsseler EU-Bürokratie ist nicht einfach herstellbar. Die Bevölkerung in den EU-Ländern fühlt sich in der EU nur unzureichend vertreten; die Repräsentanten verlieren den Kontakt zum Wahlvolk.
Faktisch schwebt die EU-Kommission über der Demokratie. Den EU-Verträgen wird seitens des Europäischen Gerichtshofs mehr und mehr Verfassungsrang zugesprochen, obwohl sie im Kern und auch formal nur Staatsverträge sind. Die Gefahr besteht, dass einzelne Mitgliedsstaaten, die sich nicht „konform“ verhalten, mit sog. Vertragsverletzungsverfahren gemaßregelt werden. Dies aber schwächt nach Auffassung von Patzelt die EU eher als dass es sie stabilisiert.
Ein weiteres Problem kann sich aus einer weiteren Ausdehnung der EU z.B. durch eine Aufnahme der Türkei oder der Ukraine ergeben. Die Integration solch‘ großer Staaten bergen enorme Herausforderungen in sich, die das bisherige Gleichgewicht der EU schnell aus den Fugen geraten lassen können.
Es bedarf klarer Analysen, einer fundierten Wirkungsabschätzungen und zuweilen auch klarer und harter Entscheidungen, um das Projekt der europäischen Einigung nicht insgesamt zu gefährden.
Dich sich aus verschiedenen Interessen ergebenden Zielkonflikte reduzieren oft die Wertschätzung für die bereits erreichten Erfolge. Dies vergrößert dann zusätzlich die Probleme.
Nach diesem Vortrag nickten alle einvernehmlich, tranken noch etwas und unterhielten sich freundlich über Belanglosigkeiten.
Nein!!!
So war es natürlich nicht, sondern es schloss sich nach dem herzlichen Dank an Herrn Professor Patzelt eine sehr lebhafte und engagierte Diskussion an.
Am Ende waren das gute Abendessen und die reichhaltigen Impulse „verdaut“, das Netzwerken erfolgreich, und die Freundschaften gepflegt.
Und natürlich der Vorsatz gefasst: Beim nächsten Mal werde ich wieder dabei sein und mich ganz sicher auch vorher anmelden …
Text: Dr. Jörg W. Höwer | Bilder: Norman Gebauer