Maßstab Mensch -  Meinungen und Perspektiven

Blogbeitrag

Der Mensch als Patient. Für einen Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen.

Gesundheit ist für den Menschen lebenswichtig. Weitgefasst mit Themen von Fitness-Boom und Optimierungsmedizin bis zu Intensivstation und Hospizpflege. Mehr noch als in allen anderen Lebensbereichen spielt das Bild vom Menschen die prägende Rolle für unser Sehnen nach Gesundheit und für die Art, wie wir Gesundheitsversorgung organisieren. Es geht einerseits um Äußerlichkeiten, um Ansehen und Wohlbefinden, vor allem aber um die Abwesenheit von Leiden, von Ausgrenzung oder Verfall. Im Extremfall sogar um Unsterblichkeit, wenn man an die Träume von KI- und Bio-Visionären denkt.

Menschsein ist eng verknüpft mit sich gesund oder krank fühlen. Kein Wunder, dass das auch ein großer Wirtschaftsfaktor ist. 12% des deutschen Bruttosozialprodukts entfallen auf die Gesundheitswirtschaft im engeren Sinne, die im Schnitt mit 4% p.a. deutlich stärker wächst als die Wirtschaft insgesamt.

Gesundheitswesen, Krankenhaus, Prävention

Wir sprechen immer von Gesundheitswesen, meinen seltsamerweise aber überwiegend das Krankenhaus oder den Arzt, den wir dann aufsuchen, wenn uns „etwas fehlt“. Von Prävention wird zwar viel gesprochen, sie spielt aber eine eher untergeordnete Rolle, wenn man vom Sonderfall der Vorsorgeuntersuchung absieht. Die hat aber wenig mit Prävention zu tun, ähnlich wie das Testen in Corona-Zeiten, für sich genommen, Virusinfektionen ja

nicht verhindert, sondern nur offenbar macht (Pandemie und Prävention, das wäre nochmal ein eigenes Thema …).

Prävention ist gesellschaftlich ein undankbares Geschäft. Die Krankheit, die nicht eingetreten ist, lässt sich bestenfalls langfristig und statistisch erfassen, persönlich eher nicht. Helden schafft sie kaum, wenn wir mal von Leuten wie Robert Koch oder Paul Ehrlich absehen oder von den Impfstoffentwicklern, die uns aktuell helfen, mit dem Corona-Virus fertig zu werden. Prävention ist zwar volkswirtschaftlich hoch rentabel. Nur nicht für die Akteure der Gesundheitswirtschaft. Leider auch nicht für den sonst gerne so fürsorglichen Staat, es sei denn jemand denkt an entgangene Steuereinnahmen. Ein echtes Dilemma also.

Maßstab Mensch?

Das Dilemma Prävention ließe sich vielleicht auflösen, wenn es das oberste Ziel des Gesundheitswesens wäre, dem Menschen ein gesundes, selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, ohne ihn zu bevormunden – und im Krankheitsfall Heilung als personales Geschehen zu begreifen. Notwendig wäre es dann beispielsweise, Krankenhäuser daran zu messen, wie gut sie diesen Prozess unterstützen. Klar, wenn der Chirurg einen Knochenbruch richtet, kommt es in erster Linie auf die handwerkliche Qualität an. Anders liegen die Dinge bei einem multimorbiden Patienten in der Inneren oder Geriatrischen Abteilung.

Dass unsere Krankenhäuser medizinisch sehr gute Arbeit leisten, liegt überwiegend an der Qualifikation und dem Engagement ihrer Mitarbeiter, an Ärzten, Pflege oder Therapeuten. Unsere Versorgung mit Krankenhäusern, aber auch mit Ärzten und Pflege-Personal ist gut, zumindest im europäischen Vergleich. Dass wir das so nicht merken, liegt daran, dass unsere Fallzahlen deutlich höher sind als anderswo. Daran ist nicht (nur) die Politik Schuld, sondern unser aller Verhalten; wir laufen wohl zu häufig zum Arzt. Und statt ambulant wird viel zu viel stationär behandelt; mit unzeitgemäß harter Trennung zwischen diesen Sphären.

Strukturell sieht es trübe aus. Der Patient im Mittelpunkt bleibt ein frommer Spruch. Es geht ums Geld und um vermeintliche Gerechtigkeit in der Art, wie es verteilt wird. Das Ergebnis ist ein hochdynamisches Regulierungs- und Dokumentationsgebilde, das einen zunehmend größeren Teil der Energie des Systems Krankenhaus frisst. Manches muss sein, vieles ist Verschwendung oder gar organisierte Verantwortungslosigkeit (wer sich an alle Regeln hält, kann ja nichts falsch machen).

Maßstab Behandlungsqualität?

Vom kranken Menschen ausgehend, müsste Behandlungsqualität der Maßstab allen Tuns sein. Die hat viele Facetten und ist schwer messbar. Einen markwirtschaftlichen Preis dafür kann man sich auch nicht so leicht vorstellen.

Da es also mit echter Qualität und Preisen ziemlich mühsam ist, hat man Ersatz geschaffen. Neben den Pauschalvergütungen (z.B. über DRGs) wurde die „Strukturqualität“ erfunden. Wenn ich Behandlungsqualität nicht gut bewerten kann, so nehme ich doch einfach das zum Maßstab, was ich zählen, messen oder wiegen kann. Beispielsweise für x Patienten müssen immer y Pflegekräfte zur Verfügung sein (PpUGV Pflegepersonaluntergrenzenverordnung)? Was vielleicht noch gut gemeint war, führt zu Abgrenzungsproblemen, Absicherung,

Umgehungskreativität und Streit. Manches Gesetz und manche Verordnung würde man am besten danach beurteilen, wie viele Rechtsanwälte und Gerichte sich mit den Folgen beschäftigen. Der Patient jedenfalls hat davon wenig.

Die Sache ist irgendwie aus dem Ruder gelaufen. Qualitätswettbewerb zwischen Kliniken gibt es (fast) nicht. Umso mehr ein Ringen um Einfluss und Geld aller beteiligten Interessensgruppen, mit der staatlichen Bürokratie – orientiert am politischen Fürsorglichkeitsparadigma – mittendrin. Das Prinzip, in einer Kombination aus gemeinwohlorientierter Planwirtschaft und marktwirtschaftlichem Wettbewerb zu einer bestmöglichen Gesundheitsversorgung zu kommen, ist nicht schlecht. Aber es braucht dringend Rückbesinnung und Reformation, damit diese beiden Kräfte wieder in Balance kommen! Immer mehr sozialstaatliches Geld kann es nicht richten.

Überlegungen, es anders zu machen, gibt es sehr wohl. In den USA unter dem Stichwort „Value Based Care“, wenn auch aus anderen Beweggründen (Kostensenkung) als hierzulande. In Deutschland heißt ein Vorschlag, in Anlehnung an das DRG-System, PRG „Patient Related Groups“ (Jörg Debatin/Heinz Lohmann: Gebt den Patienten das Kommando, FAS 28.3.2021). Da keimt etwas Hoffnung.

Gesellschaftliche Debatte – Rückbesinnung als Reform-Impuls

Technokratisch lässt sich der Knoten kaum lösen. Es braucht zwar Systemveränderung, aber die beginnt mit der inneren Haltung. Wir sollten also weitere Feuerchen anzünden, um die beginnende gesellschaftliche Debatte zu stützen. Auch die Covid-19-Krise verschärft so manche Frage: Wie wollen wir leben, wenn wir bedürftig oder krank sind? Wer ist verantwortlich für meine Gesundheit? Wofür und wie wollen wir diejenigen entlohnen, die uns helfen, gesund und möglichst selbstbestimmt zu bleiben? Wie viel Eigenverantwortung braucht das Gemeingut Gesundheitsversorgung, auch finanziell? Wie geschieht Heilung?

Was können wir praktisch tun? Als Krankenhaus dort anfangen, wo im Moment ohnehin gerade etwas in Bewegung kommt, bei der Digitalisierung.

Chance Digitalisierung?

Mit Innovation tut sich das Gesundheitssystem schwer. Ohne Förderung geht nix, was auch daran liegt, dass die finanziellen Spielräume der Einrichtungen klein gehalten werden („mit Gesundheit soll schließlich kein Geld verdient werden“). Die zweite Krux sind die hohen Hürden IT-Sicherheit und Datenschutz. Vor allem der Datenschutz hat sich zum Totschlagargument entwickelt. Nun aber ist Digitalisierung das Mantra der Stunde – das sollten wir nutzen. Nicht nur funktional-technologisch („Patientenportale“, etc.), sondern mit dem Anspruch: mehr Menschlichkeit, mehr Qualität, mehr Selbstbestimmung, für Patienten, wie für Helfer.

Wie wäre es also mit „Mehr Zeit für den Patienten“ im Krankenhaus oder „Gesund werden zuhause statt auf Station“, um nur zwei Leitmotive zu nennen. Nämlich das fehlt noch ein gutes Stück: wofür eigentlich Digitalisierung und KI? – neben dem effizienter, schneller, besser.

Maßstab Mensch, das ist die Orientierung, die uns weiterbringt, vor allem auch im Gesundheitswesen!

Autor: Reinald Wolff

Maßstab Mensch -
Das Buch

Unter diesem Link finden Sie alle Informationen zum Buch Maßstab Mensch von Dr. Hans Günther Ullrich. 

Maßstab Mensch  - 
Die Workshops

Zu den Inhalten seines Buches bietet  Dr. Hans Günter Ullrich eine Workshopreihe mit zwölf Online-Konferenzen an. Die Workshops werden aufgezeichnet und stehen als Videoinhalte zur Verfügung. Mit unterschiedlichen Gesprächspartnern setzt er sich zu den verschiedenen Themen auseinander .

Maßstab Mensch -
Die Interviews

In fünf Videos stellt der Geistliche Berater des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU), Dr. Hans Günther Ullrich, die Grundthesen seines Buches Maßstab Mensch vor.

Maßstab Mensch -
Meinungen und Perspektiven

Unter diesem Link finden Sie Blogbeiträge verschiedener Autoren zu den Themen, die sich mit Konsequenzen zum Anspruch 'Maßstab Mensch' auseinandersetzen.

Maßstab Mensch -
Termine

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